Social Media 2: In was für einer Welt wollen wir leben?

veröffentlicht am
Tja. Kaum hatte ich meinen letzten Artikel gepostet, in dem ich eher allgemeine Tipps zum Thema Umgang mit Social Media gegeben habe, ließ Mark Zuckerberg verlauten, Redefreiheit sei zu eingeschränkt und daher würde jetzt das Fact Checking und andere Inhaltsmoderation auf Meta-Plattformen abgeschafft. Na dann.

Infos für die Unterinformierten

Ich kriege ja auch sehr, sehr vieles nicht mit, durchaus absichtlich. Aber ich finde, was gerade auf den großen Social Media-Plattformen bzw. bei deren Betreibern abgeht, betrifft uns doch so ziemlich alle als Gesellschaft. Also zwei kurze Artikel zum Nachlesen, plus ein langer und ausführlicher:

Was heißt das nun? Das heißt, einige der größten und einflussreichsten Online-Plattformen der Welt werden von Männern geführt, für die Profit wirklich vor allem anderen kommt. Vor friedlichem Zusammenleben, vor Demokratie, vor dem Streben nach Frieden. Vor einer mitmenschlichen Gesellschaft, vor einer lebenswerten Welt.

Mark Zuckerberg will in den USA die Inhaltemoderation bei Facebook, Instagram und Threads dramatisch umbauen. Faktenchecks durch unabhängige Dritte gehören bald der Vergangenheit an, viele sich gegen Hassrede richtende Regeln schafft das Unternehmen ab. Die gestern verkündete Entscheidung ist eine radikale Kehrtwende – und zwar in dreierlei Hinsicht.aus Zuckerbergs Kehrtwende: Meta goes MAGA

Aber was heißt das nun konkret?

Ich gebe sofort zu, dass ich grundnaiv bin und gerne an das Beste in Menschen glaube. Es fällt mir schwer zu erkennen, was bestimmte Verhaltensweisen oder Gesetze oder auch fehlende Regeln alles zur Folge haben könnten und für wen. Aber entweder werde ich älter und weiser, oder es ist hier so offensichtlich, dass es mich einfach anschreit. Da bin ich mir nicht sicher, aber was ich sicher weiß ist, dass es mir meine grundsätzliche Ablehnung gegenüber Facebook & Co. sehr viel leichter macht, die potenziellen Probleme zu sehen. Ich bin ja eh raus, ich habe nichts zu verlieren. Deswegen will ich das mal ein bisschen ausformulieren, denn so auf den ersten Blick könnte man schon meinen, das beträfe jetzt ja mal nur die Amis, oder?

Hier in der EU läuft das so nicht!

Bei uns gibt’s da geltende Gesetze! Leute dürfen nicht einfach nachweislich falsche Informationen verbreiten oder hässlich über ganze Bevölkerungsgruppen reden! Die Amis haben halt einen Idioten gewählt.

Ja, stimmt schon (vor allem letzteres). Hier in der EU gilt der Digital Services Act, und an den müssen sich auch Facebook & Co. halten – theoretisch. Dazu noch ein interessanter Artikel von heise.de: Meta und X in der EU – das regelt der DSA

Ein paar wichtige Punkte, die ich dem entnehme: der DSA regelt nicht, was illegale Inhalte sind, sondern verlangt Mechanismen dagegen, sobald man von ihnen Kenntnis erhalten hat. Da sehe ich einen Haufen Spielraum, wie sich vieles durchmogeln lässt: Durch ineffiziente Mechanismen, durch ineffiziente Meldung solcher Inhalte, durch aktives Verschleppen gerichtlicher Anordnungen, durch generell verschwimmende Landesgrenzen online. Hetze, die unter US-amerikanischer Flagge auf Facebook akzeptabel ist, kann online überall auf der Welt gesehen werden. Soll das nach Meldung quasi nur für IP-Adressen aus der EU irgendwie ausgeblendet werden? Ich bin sehr skeptisch.

Dazu noch frisch gefunden: ein Tagesschau-Artikel, der spekuliert, ob die EU nicht vielleicht sowieso einfach einknickt. Ja, okay.

Nach Einschätzung der EU-Kommission gilt für die Bundestagswahl ein mittleres Risiko der Manipulation im Wahlkampf, sagte ein hochrangiger EU-Beamter kürzlich in einem Hintergrundgespräch der EU-Kommission. Bei der Medienkompetenz liege Deutschland europaweit nur im Mittelfeld. Außerdem würden hierzulande immer mehr Menschen Informationen vor allem aus den Sozialen Medien beziehen. Einer Studie der OECD zufolge erhöht dies die Anfälligkeit für Desinformation.aus Sind die Plattformen gegen Manipulation gewappnet?
(längerer, sehr lesenswerter Artikel von netzpolitik.org zum Bundestagswahlkampf)

Prekäre Online-Existenzen

Ich hab’s im letzten Beitrag schon gesagt – es ist keine gute Idee, online nur auf ein Pferd zu setzen, das Dir nicht gehört. Aber natürlich haben das viele Menschen getan (und sei es nur, weil sie in einem Land leben, in dem Facebook-Daten subventioniert werden und darum Facebook viel weniger kostet als der Rest des Internets; ja das gibt es), oder eine der aktuell problematischen Plattformen bringt halt nunmal das meiste Geschäft ein. Das wird bei sehr vielen kleinen Unternehmen und Selbständigen der Fall sein, wenn nicht mit Facebook, dann mit Instagram.

Ich persönlich halte es für extrem wahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit viele solcher Profile, die der einen oder anderen marginalisierten Gruppe angehören, entweder direkt von der Bildfläche verschwinden, oder aber – das ist fast schlimmer – einfach vom Algorithmus unter den Teppich gekehrt werden (sogenanntes „shadowbanning“). Das heißt sie können ganz normal aufgerufen werden, aber nur wenn man den Link schon kennt. Für Suchanfragen existieren sie nicht. Ich muss sicher nicht erklären, warum das für ein kleines Unternehmen oder eine Selbständigkeit auch schon das Ende bedeuten kann.

Generell müssen wir uns dessen bewusst sein, dass die Betreiber von Social Media-Plattformen einfach machen können, was sie wollen. Und wenn sie bereit sind, im Gerichtsfall achselzuckend ein paar Millionen Euro Strafe zu zahlen, dann gibt es auch kaum eine Möglichkeit, daran etwas zu ändern.

…aber wieso betrifft es mich?

Natürlich kann das vielen von uns immer noch erstmal egal sein. Das ist verlockend, weil es einfach ist. Man passt sich ja schon die ganze Zeit an Algorithmen an, dann jetzt halt noch ein bisschen. Und Profile verschwinden ständig von der Bildfläche, das kann an allem Möglichen liegen. Woanders müsste ich komplett neu anfangen, alles neu aufbauen. Ich hab schon genug zu tun…

Das ist alles nicht falsch, und sehr verständlich. Trotzdem sage ich: leg für einen Moment mal alle Deine persönlichen Umstände beiseite, und schau mit nüchternen Augen hin, was mit und auf den großen Plattformen passiert, und wie sehr sie an der US-Politik hängen. Und dann überleg, ob Du überzeugt davon bist, dass das ein gutes Umfeld, eine gute Wachstumsbasis für Dich und Dein Unternehmen ist.

Noch ein schöner Artikel dazu vom Kuketz-Blog: Warum das Argument, man müsse in sozialen Netzwerken bleiben, um Opposition zu leisten, völliger Unsinn ist

Alternativen: am besten immer dranbleiben

Es kann auf gar keinen Fall schaden, ganz grundsätzlich immer wieder zu prüfen, ob die eigenen Social Media-Präsenzen noch die Zeit und Energie wert sind, die Du hineinsteckst, denn auch wenn nicht gerade alles und alle mit Volldampf Richtung Faschismus brausen, wird es immer wieder so sein, dass sich Dein Unternehmen und die eine oder andere Plattform einfach auseinanderentwickeln. Es ist gut, da immer ein Auge drauf zu haben, und noch besser ist es, rechtzeitig die Nachfolger zu sondieren und dort neue Profile und Gefolgschaften aufzubauen, bevor die alten in die Knie gehen.

Natürlich ist das extra Zeit und Mühe, die Du investieren musst… aber wie ich im letzten Beitrag schon sagte, nichts hält für ewig, und soziale Netzwerke schon gleich dreimal nicht. Ein notwendiger Absprung gelingt am besten, wenn man schon Monate vorher auf Parg immer wieder mal gesagt hat, „mich gibt’s jetzt übrigens auch auf Bloo, ich freue mich auch dort über neue Follower“ – und wenn Parg sich dann vollends als untragbar herausstellt, kann man schreiben „sorry Leute, aufgrund dessen, was sich der CEO von Parg neulich bei laufender Kamera geleistet hat, verlasse ich diese Plattform zum Ende dieses Monats, aber ihr findet mich wie gewohnt bei Bloo, und falls ihr es noch nicht ausprobiert habt, da ist eine echt nette Community“. Ausstieg halbwegs stressfrei geschafft, und dann kann man seine ganze Energie auf den Erfolg der Präsenz bei Bloo konzentrieren.

Alternativen jetzt

Ich denke, wir müssen uns nicht darüber unterhalten, dass Xitter (gesprochen Shitter) inzwischen absolut untragbar ist. Das mutiert schon seit geraumer Zeit zum Haifischbecken, und die Abwanderungswellen sind überall wahrnehmbar. Wer da jetzt noch rumhängt, wird von mir persönlich sehr, sehr skeptisch angeguckt, falls überhaupt.

Im Fall von den Meta-Plattformen (Facebook, Instagram, Whatsapp, Threads) stehen die Zeichen noch nicht ganz so lange an der Wand, aber auch hier ist das Ende von guter Online-Gemeinschaft nach den neuesten Ankündigungen (siehe Artikel ganz oben) absolut in Sicht. Sogar wenn die EU hart kämpft. Jetzt wäre also ein richtig guter Zeitpunkt, um sich Alternativen auszusuchen, neue Profile zu erstellen und auf den alten zu kommunizieren, dass es sie gibt, und warum die Alternativen gegenüber Meta-Plattformen besser sind. Wenn Du Dich nach entschlossenem Trendsetting fühlst, könntest Du auch gleich sagen, wann Du Dich definitiv bei Meta abmelden willst, und Deine Fans direkt bitten, ebenfalls mitzukommen.

Ja was für Möglichkeiten hab ich denn?!

Um es gleich zu sagen: viel zu viele als dass ich sie alle auch nur dem Namen nach kennen könnte. Und welche von den anderen Plattformen genau für Dich das Richtige sind, kann ich Dir sowieso nicht pauschal sagen, weil einfach zu viel von Dir und Deinen Bedürfnissen und Wünschen abhängt. Bluesky ist gerade in aller Munde und soweit auch ganz kuschelig. LinkedIn taugt meiner Vermutung nach noch eine Weile, auch wenn ich mich da inzwischen abgemeldet habe. tumblr gibt es immer noch und die Community ist quietschlebendig, aber sehr speziell – wenn es für Dich passt, gibt es Dich da höchstwahrscheinlich schon. Das kannst und solltest Du Dir aber alles in Ruhe selber angucken.

Nochmal der Kuketz-Blog: #UnplugTrump: Was dem Internet jetzt droht und was die Chance ist

Und ein deprimierender Nachtrag, zwei Wochen später: Studien zu Algorithmen: TikTok und X pushen rechte Parteien

Ich will aber definitiv noch eine Runde über das Fediverse reden, weil schon das Konzept ganz anders ist als was man von den „Großen“ so kennt. Und dieser Unterschied ist grundlegend wichtig.

Das Fediverse: Mastodon, Pixelfed & Co.

Falls Dir das Fediverse überhaupt ein Begriff ist, dann wahrscheinlich in Form von Mastodon. Diese quelloffene Variante von Xitter hat schon nach der Übernahme durch Elon Musk viel Zulauf bekommen und ist inzwischen in manchen Kreisen fast normal. Aber egal ob Du davon schon gehört hast oder nicht, der interessante und grundlegende Unterschied von allen Fediverse-Plattformen ist, dass sie

  1. dezentral gehostet und verwaltet werden, und dass
  2. allen quelloffene Software zugrunde liegt.

Das macht eine völlig andere Grundlage als jede konzerneigene Plattform, deren Code ein Betriebsgeheimnis ist und deren Server vollständig in der Hand des Konzerns liegen.

Keine Konzerninteressen

Was heißt das konkret? Am Beispiel von Mastodon: es gibt keinen zentralen Mastodon-Server, der alle User verwaltet, sondern es gibt einzelne Instanzen, die miteinander kommunizieren. Wer ein Mastodon-Konto haben will, sucht sich eine solche Instanz aus, die gerade Platz für neue User hat, und meldet sich dort an. Die Domain der Instanz wird Teil des Mastodon-Namens: ich zum Beispiel bin @netzhexe@chaos.social, wobei „chaos.social“ die Adresse meiner Mastodon-Heimatinstanz ist und „netzhexe“ mein Mastodon-Username.

Mithilfe dieses ganzen Namens kann ich nun auf Mastodon allen Leuten folgen, die mich interessieren, egal auf welcher Instanz sie selbst beheimatet sind. Die Instanzen tauschen untereinander die relevanten Informationen aus, und alle Leute sehen die Tröts, die sie interessieren. (Und nur die!)

Ich kann mir auch alle lokalen Tröts anschauen, das heißt alle Tröts, die auf meinem Heimatserver geschrieben wurden. Aber: es gibt keinen Algorithmus, der mir ständig Neues liefert, was mich aufgrund all meiner bisherigen Klicks interessieren könnte. Wenn ich niemandem folge, kriege ich nichts mit. Und wenn ich Leuten folge, die mich aufregen, bin ich selber schuld.

Keine Werbung!?

Das heißt übrigens auch, dass diese Plattformen werbefrei sind. Die meisten von uns werden jubeln, denn wer mag schon Werbung? Aber manche ziehen vielleicht auch gleich den Umkehrschluss – denn bei Meta & Co. kann man dem Algorithmus Geld geben, um mehr Leuten angezeigt zu werden. Das geht im Fediverse einfach nicht.

Ich persönlich finde das gut, denn dadurch bekomme ich ehrliche Rückmeldung. Wenn sich niemand für meine Inhalte interessiert, will ich das wissen, und nicht erstmal Geld auf das Problem werfen. Auch wenn es die Aufbauphase natürlich schwieriger machen kann.

Im Fediverse kriegst Du Follower, weil Leute interessant finden, was Du schreibst. Und, ganz wichtig: es geht nicht darum, Leute zu beschallen, sondern um echten Austausch. Du kriegst nicht mehr Algorithmus-Aufmerksamkeit, wenn Du irgendwas Krasses schreibst, aber Leute meiden Dich vielleicht, weil es anstrengend ist, sich mit Dir zu unterhalten.

Admins & Instanzen

Natürlich muss auch bei allen Fediverse-Instanzen jemand den Server am Laufen halten und im Zweifelsfall die geltenden Regeln (und Gesetze) durchsetzen. Nur sind die Admins im Fediverse meist mehr oder weniger ehrenamtlich unterwegs, und viele kleine Instanzen sind letzten Endes ein Hobby von Einzelnen, denen solche Admin-Dinge Spaß machen.

Entsprechend sind auf den meisten Instanzen die Regeln eine mehr oder weniger ausformulierte Version von „verhalt dich anständig und stress die Admins nicht“. Dazu kommen Regeln zum Umgang mit z.B. nicht jugendfreien Inhalten, die auf manchen Servern erlaubt sind, unter Umständen nur mit einer Inhaltswarnung versehen, und auf anderen nicht. Im Großen und Ganzen geht es aber wirklich vor allem um einen guten Umgang miteinander, und das ist online eigentlich nicht schwieriger als offline.

Mein Plädoyer zum Abschluss

Ich habe schon viel geschrieben und eben beschlossen, dass ich auch noch einen eigenen Artikel verfasse zum Thema Einstieg ins Fediverse, mit ganz konkreten Tipps und Tricks, die Du dann einfach mal ausprobieren kannst. Zum Schluss möchte ich einfach nochmal deutlich sagen:

Ich bin im tagespolitischen Geschehen extrem unbewandert, und es gibt viel was ich nicht oder nicht im Detail weiß – aber das muss ich auch gar nicht. Was ich verstehe ist: Hinter Xitter, Facebook, Instagram, Threads und Whatsapp stehen Konzerne und an deren oberster Spitze Menschen, die Hassrede und Menschenverachtung grundsätzlich akzeptabel finden, und deren Haltung sich garantiert in ihren Algorithmen wiederfindet. Da will ich nicht mitmachen. Diesen Menschen und Konzernen möchte ich kein Geld geben und auch keine Daten, meine nicht und die von Menschen weiter unten in der offensichtlichen Hackordnung schon gleich dreimal nicht. Nicht einmal meine Aufmerksamkeit (nach diesem Artikel beschäftige ich mich wieder mit schönen Dingen).

UND: aus dieser Misere kommen wir so schnell nicht raus, und vor allem nicht ohne dass wir aktiv werden! Das ist der Stand der Dinge, und er könnte leider noch deutlich schlimmer werden. Auch an der aktuellen politischen Lage hier in Deutschland waren und sind weiterhin soziale Medien beteiligt! Wir können die Algorithmen, die jetzt schon Gestänker und Geschrei mit mehr Reichweite belohnen, nicht ändern, und wir können Leute (Nazis) nicht daran hindern, sich das in demokratiefeindlicher Weise zunutze zu machen. Aber wir müssen kein Teil ihrer Plattform sein.

Wir können es woanders viel kuscheliger haben. Eine andere Welt ist möglich, und sozialere Medien sind es auch. Jetzt ist die Zeit sie aufzubauen. Machst Du mit?